Vorweg: Ich bin angekommen. Ich bin in Wien. Aber ich kann es noch gar nicht fassen, hier jetzt einen Schlusspunkt setzen zu müssen. Nachdem ich den ersten Tag in der Heimat beinahe zur Gänze im Bett verbracht habe, möchte ich jetzt aber noch einen Blick in die Vergangenheit werfen, bevor ich diesen Blog leider langsam zu einem Ende bringen muss. Wir gehen also zurück ins Jahr 1950, zu meinem Großvater Josef Sachsenhofer, der in seiner Jugend den Grundstein legte für seine radverrückten Enkel heute.

Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben eines bekannten Pfarrers machte er sich mit seinem Reisegefährten Franz Berer, zwei Steyr Waffenrädern und 25 Kilo Gepäck auf die Reise von Oberösterreich über die Alpen bis nach Rom – und wieder zurück. Eine Strecke von über 2000 Kilometern und das in nur drei Wochen Ferien. Dank des Empfehlungsschreibens standen ihnen die Türen zahlreicher Klöster in Österreich und Italien offen, ohne Zelt übernachteten sie oft genug in ihren Schlafsäcken unter freiem Himmel.
Die Alpenüberquerung erleichterten sie sich, indem sie sich mit ihren Fahrrädern hinten an Lkws anhielten und sich von ihnen die steilsten Stücke mitziehen ließen – heute undenkbar, damals für zwei abenteuerlustige Jungspunde offenbar dank der niedrigeren Geschwindigkeit durchaus machbar.
Bergab ging es dann rasant, aber nicht weniger gefährlich. Ausgerechnet bei der Abfahrt vom Großglockner, des höchsten Berges Österreichs, versagten die selbstmontierten Felgenbremsen meines Großvaters. So steigerte sich die Geschwindigkeit schnell von rasant zu halsbrecherisch, und hätte er nicht einen von der Straße steil ansteigenden Feldweg gefunden, hätte die Fahrt vielleicht ein frühes Ende gehabt.
Während ich, 65 Jahre später, über gut ausgebaute Radwege kurve, mich in Gespräche mit Mitreisenden vernüge, verbrachte sein reisegefährte aus wohl durchaus angebrachter Vorsicht zumindest eine Nacht mit gezücktem Dolch in seinem Schlafsack.
Ihre Reise führte die beiden Österreicher zunächst über die Alpen und an der Adria entlang bis Rimini/Fano, über die Via Flaminia und über den umbrischen Appennin nach Rom und heimwärts über die Via Aurelia an der ligurischen Küste entlang über Florenz und den Cisa-Pass nach Parma und schließlich über den Brenner wieder zurück nach Österreich (mit Abstechern im italienischen Binnenland wie Venedig, Verona etc.), schildert mein Opa.
Doch meine Familie lässt auch in der Gegenwart keine Gelegenheit aus, um mir (durchaus erfolgreich) die Lächerlichkeit meiner schlappen 1000 Kilometer vor Augen zu führen. Ohne mein Wissen startete mein Cousin Michael Sachsenhofer etwa zeitgleich mit mir zu einer deutlich eindrucksvolleren Radreise.
In nur 18 Tagen hat er satte 2583 Kilometer im hohen Norden zurückgelegt. Man vergleiche das mal mit meinen läppischen 1200 Kilometern in 23 Tagen…
Und während ich gemütlich an der Donau meine maximal 100 Kilometer am Tag mit quasi keiner Steigung zurücklegte, machte er es sich nicht so einfach. Mit Etappen von bis zu 254 Kilometern am Tag (ja, richtig gelesen…) und 1000+ zurückgelegten Höhenmetern am Tag, schaffte der Gute es nicht nur, am nächsten Tag wieder aufs Rad zu steigen, sondern auch noch freihändig zu fahren – Und dabei zu jonglieren!
Während ich schon zum jammern anfing, wenn es nachts mal unter 10 Grad hatte, war er schon froh, wenn die Temperaturen tagsüber zweistellig wurden.
Und allen Widrigkeiten – und davon gab es bestimmt genug – zum Trotz, fuhr er dann spontan auch noch bis hinauf zum Nordkapp.
Ja, was soll ich da noch sagen… Ich spiele mich hier wochenlang als der große Radreisende auf, während die wahren Abenteuer, die wahren Strecken in meiner Familie von ganz anderen Zurückgelegt werden. Nur gute PR unterscheidet mich vom Rest. Ich bin das Coca Cola der Radfahrer. Und möchte mich dafür entschuldigen.